HTW Berlin » Fachbereich Gestaltung

Qi Kompetenznetz

Forschungsstudie - Voraussetzungen

Die durch die digitalen Medien bedingte beschleunigte Lebensweise führt zur beinahe ausschließlichen Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die von außen kommenden Informationen. Diese permanente Orientierung der Wahrnehmung nach »Außen« führt zu einer Unterbrechung des Bezugs zu sich selbst. Die Eigenwahrnehmung wird weitestgehend durch über Medien vermittelte Erfahrungen überlagert oder ersetzt. Durch die Bindung der Aufmerksamkeit auf die quantitativen Informationsströme der sozialen Medien wird das eigene Selbstbild zur reinen Außendarstellung. Die Bildung der eigenen Persönlichkeit ist in zunehmend Maße davon abhängig geworden, dass andere auf das virtuelle Selbst reagieren, um dies zu bestätigen und zu verstetigen. Durch die permanente Kommunikation / Kontrolle des virtuellen Selbst versagen wir uns die notwendige Zeit zur Reflexion. »Tagträumen und Introspektion sind aber notwendig und wichtig um Empathie, Moral und ein Verständnis des eigenen Selbst zu entwickeln« (Katie Davis). Sie sind unerlässlich für die geistige Entwicklung.

Forschungsstudie - Inhalt

Die Forschungsstudie untersucht die Möglichkeit, die »verlorene Zeit« zur Introspektion mit Hilfe der asiatischen Bewegungskünste »Qi Gong« und »Taijiquan« zurückzugewinnen. Die Übungen der Eigenwahrnehmung körperlicher und geistiger Bewegung können den Zugang zu sich Selbst wieder aktivieren und verstärken. Es kann vertieftes Bewusstsein über die Zusammenhänge innerer und äußerer Gestaltungsporozesse entwickelt werden, die u.a. das Verhältnis des menschlichen Körpers zur Mediatisierung der Welt klären. Die Introspektion über Bewegungsprozesse führt zu einem Bewusstsein der eigenen Möglichkeiten zu selbstregulativen Verfahren in Gesundheit und Kreativität. Die Kenntnis über die körpereigenen inneren energetischen Zusammenhänge bilden die Voraussetzung, damit Gestaltung und Bewusstsein substanziell zum Ausdruck kommen können.

Taijiquan und Qi Gong sind Jahrtausende alte und wissenschaftlich erforschte chinesische Bewegungsformen, die neben der Sensibilisierung der Eigenwahrnehmung (Propriozeption) vor allem die bewusste Imagination von Bewegungserfahrung in Raum und Zeit einsetzen. Die durch Imagination angeleiteten Bewegungen machen die ihrer Gestaltung zugrunde liegenden inneren Zusammenhänge deutlich und erfahrbar. Das »Qi«, in der traditionellen chinesischen Medizin die alles regulierende und gestaltende Energie, wird mit der Vorstellung (Yi) im Bewegungsablauf zur äußern Form (Xing) geführt. Wie im Taijiquan und Qi Gong das »Qi« durch die Imagination angeführt wird, so wird im Lebens- und Gestaltungsprozess die kreative Handlung durch die bewusst eingesetzte Vorstellungskraft gelenkt. Die Erkenntnis der körpereigenen inneren energetischen Zusammenhänge und Bildekräfte kann über das Bewusstsein in den Gestaltungs- und Lebensprozess einfließen. Wie Taijiquan und Qi Gong die Wandlungen des »Qi« zum Ausdruck bringen, so gewinnen auch Lebens- und Gestaltungsprozesse an Ausdruck, wenn die energetischen Wandlungen im Herstellungsprozess durch Bewusstsein und Erfahrung gelenkt werden.
Es geht also in der Forschungsstudie um die Reflexion der inneren Zusammenhänge, um die Sichtbarmachung der agierenden Kräfte. Phänomene wie Gleichgewicht und Rhythmus sind letztlich Ausdruck dieser Energien unseres kinetischen Vermögens. So wie die Mathematik (Geometrie, Statik) die unsichtbare innere Struktur der Architektur bildet, so bildet der digitale Code die innere Struktur für unser mediatisiertes Welterleben. Es geht also im Taijiquan und Qi Gong wie in der Architektur, wie im Design und wie im gesunden Leben überhaupt um die Reflexion der inneren Zusammenhänge und der agierenden Kräfte, damit Gestaltung und Bewusstsein substanziell zum Ausdruck kommen kann. Eben in Körperbewegungen, in Form von Gebäuden (Räumen) und in der Virtualität der digital vernetzten Welt.
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